Prof. Dr. Ulrich Mückenberger
21. November 2018
Foto: SGA
Besonders zwei Elemente des rechtlichen Arbeitnehmerverständnisses werden unter strategischen Gesichtspunkten den Gestaltungsanforderungen der digitalisierten Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft nicht gerecht: dass für den rechtlichen Schutz die bipolare Gestalt eines vertraglichen Bandes zwischen zwei Rechtspersonen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausschlaggebend ist; und dass innerhalb dieser bipolaren Gestalt die dichotomische Gegenüberstellung von Arbeitnehmern und Nicht-Arbeitnehmern stattfindet, die persönliche Subordination als Leitkriterium hat. Die Kritik beider Elemente wird zunächst allgemein aufgezeigt und dann jeweils an Beispielen wie Crowdwork und Uber verdeutlicht.
Die Vielfalt und Grauzone von Beschäftigungsverhältnissen hat die Dichotomie Arbeitnehmer – Nicht-Arbeitnehmer in starkem Umfang verändert. Am gleichen Arbeitsplatz können heute – durch telekommunikative und digitale Vernetzung begünstigt – Menschen völlig unterschiedlichen arbeits- und sozialrechtlichen Status, unterschiedlicher Lohnniveaus, unterschiedlicher Branche und Struktur betrieblicher und tariflicher Interessenvertretung aufeinandertreffen. Wenn auch wohl eine Zahl von tätigen Menschen nach wie vor "normale" Arbeitnehmer sind, so finden sich diese doch gesellschaftlich und – wie gezeigt – sogar betrieblich "umstellt" von einer Vielfalt der "Unnormalität". Digitalisierung der Arbeit scheint diese Vielfalt noch ansteigen, nicht etwa schwinden zu lassen. Das macht sie heute zu einem Regulierungsthema ersten Ranges.
Die Reaktion auf diese massive Krise des sozialen Schutzrechts ist sehr unterschiedlich. Die arbeitsrechtliche Zunft (einschl. der Sozialpartner) in Deutschland und den westlichen Industrienationen tendiert vornehmlich zu dem Versuch, die Anwendungsbreite des bestehenden Arbeitnehmerbegriffs zu sichern und auszuweiten. Zuweilen wird auch an der dritten Kategorie zwischen Arbeitnehmern und Selbstständigen – wie sie in Deutschland und Österreich in Gestalt der "arbeitnehmerähnlichen Personen" oder in Italien in Gestalt des "lavoro parasubordinato" existiert – gearbeitet. Im gesellschaftlichen Bereich (Medien, Verbände, Zivilgesellschaft) wird vielfach vom umgekehrten Ausgangspunkt her argumentiert: Sozialer Schutz sei auch dann zu sichern, wenn arbeitende Menschen keine Arbeitnehmer sind, sozialer Schutz sei vom Arbeitsverhältnis zu entkoppeln. Die exponierteste Figur dafür ist die Forderung nach einem Grundeinkommen - aber das Spektrum ist vielgestaltiger, als dass es auf diese Forderung reduziert werden könnte.
Der Vortrag versucht, die Grundidee für ein Bild von arbeits- und sozialrechtlichem Schutz zu vermitteln, das der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung angemessener ist. Ausgehend von einem Kontinuum zwischen dem traditionellen Arbeitnehmerbegriff mehr oder weniger entsprechenden Beschäftigungstypiken werden diesem bereits vorhandene rechtliche Schutztypen zugeordnet und Anregungen, wie diese in angemessenerer Form weiterentwickelt werden könnten, gegeben.
Das Diskussionspapier zum Vortrag steht hier zum Download bereit.